Während seiner 30 Jahre in London spürte Sølve Sundsbø die Anziehungskraft der Natur, die ihn in seiner Heimat Norwegen umgab. Eine Welt aus Bergen, Wäldern und extremen Wetterbedingungen, die sein Interesse an der Fotografie weckte und eine tiefe Verbindung zu den „Elementen“ inspirierte – diese ließ er in seinen Pirelli Kalender 2026 einfließen.
„Es ist wie eine Art Sehnsucht danach, ohne jetzt zu tief in die Psychoanalyse einzusteigen”, sagt Sundsbø. „Es ist etwas, das ich mir immer wünsche. Es war schon immer da und ist in den vergangenen Jahren sehr stark geworden.”
Es sind diese Kräfte, die Sundsbø in seinem Kalender festhalten wollte – Kräfte des „Mysteriums, der Fantasie, der Leidenschaft, des Wunsches nach Emanzipation und unserer Beziehung zu Zeit und Raum“.
Zu diesem Zweck porträtierte er seine 11 Darstellerinnen in Umgebungen aus Erde, Wasser, Feuer, Wind, Äther, Himmel, Blumen und Natur. Dabei kombinierte er Naturaufnahmen aus der englischen Landschaft mit Studioaufnahmen aus London und New York. Die jüngste Ausgabe von The Cal™ wird in der finalen Version neben Portraits auch Bewegtbild (in Form eines Kurzfilms) enthalten.
Hier spricht er über seine Verbindung zur Natur, wie er das diesjährige „romantische“ Konzept umgesetzt hat und warum er das Kalenderprojekt so inspirierend fand.

Bitte erzählen Sie uns etwas über diese Verbindung, die Sie zu den „Elementen” spüren.
Wenn Sie meine Frau fragen, wann ich am glücklichsten bin, dann wird sie sagen: wenn er bei schlechtem Wetter draußen und niemand in der Nähe ist. Sie wissen schon, wenn man wirklich darin versunken ist. Für mich ist es bei Sonnenschein noch besser, wenn der Wind weht, sodass man ihn spürt. Oder wenn ich in einem Wald bin und es stark schneit, zehn Zentimeter pro Stunde. Ich bin dafür bekannt, dass ich mitten in der Nacht im Regen draußen stehe und viel zu lange ein Gewitter beobachte. Es ist wie das Gemälde von [Caspar David] Friedrich, auf dem ein Mann auf einem Berggipfel steht. Diese Art von Romantik, die Verbindung zwischen Mensch und Natur.
Wie kamen Sie auf das Konzept für das Shooting?
Es wäre schwierig gewesen, im Freien zu fotografieren, und vielleicht auch weniger interessant, denn wenn man sich die Geschichte des Pirelli Kalenders vor Augen führt, dann sind das nicht nur Bilder von schönen Frauen am Strand, sondern so viel mehr. Aufnahmen, die im Studio entstanden. Sehr interessante Konzepte. Man möchte mit dieser Geschichte spielen und darauf aufbauen, aber auf eine neue Art und Weise.
Also sind wir in die englische Landschaft gefahren, haben die Natur auf Film quasi „geerntet” und das Material anschließend ins Studio gebracht, um es auf riesige LED-Bildschirme zu projizieren. Das Shooting in Norfolk und Essex war der schönste Teil. Wir waren zwei Tage lang draußen und haben hauptsächlich Aufnahmen im Zeitraffer gemacht. Es war atemberaubend. Wir stellten drei oder vier verschiedene Kameras mit unterschiedlichen Objektiven in verschiedene Richtungen auf und warteten eine Stunde. Es war wie ein kleines Fotolabor im Freien. Wir haben den Himmel, die Wolken und den Sonnenuntergang eingefangen. Natürlich haben wir auch einige Elemente im Studio dargestellt. Eva [Herzigová] und Susie [Cave] stellten wir ins Wasser. Tilda [Swinton] wurde in einem magischen Mini-Wald fotografiert, den wir für sie geschaffen hatten. Isabella [Rossellini] war von Blumen umgeben.
Wie wird Bewegtbild in den finalen Kalender integriert?
Wir drehen einen Kurzfilm, der den Kalender begleitet. Keine große Erzählung, einfach bewegte Bilder. Aber man muss dabei anders denken, denn Film stellt ganz andere Anforderungen als ein Standbild. Wenn man nur eine Wolke hat, die sich nicht bewegt, sieht das langweilig aus. Also sollen die Wolken sich bewegen. Ich hatte zwei Kameramänner an meiner Seite [einen beim Dreh in London, einen in New York], die mir halfen, das Bild im Filmformat zu realisieren.
Durch den Einsatz von Bewegtbild können Sie mit Zeit und Raum spielen. Sie können beispielsweise Wolken mit einem Teleobjektiv filmen und anschließend die Person davor im Studio mit einem Weitwinkelobjektiv fotografieren. Dadurch verzerren Sie nicht nur den räumlichen Aspekt, sondern auch den zeitlichen. Die Wolken könnten beispielsweise zwei Stunden Filmmaterial sein, auf 20 Sekunden beschleunigt, während die Person in Zeitlupe aufgenommen wird.

Wie haben Sie entschieden, welches Element zu welchem Portrait passt?
Man betrachtet all diese Frauen und ihre unterschiedlichen Temperamente, führt Gespräche mit ihnen und entwickelt Ideen. Entweder gemeinsam mit ihnen oder für sie oder als Kombination aus beidem. Man möchte, dass die Protagonistin sich mit ihrem Element verbunden fühlt.
Was war das Highlight dieser Erfahrung?
Die wirklich harte Arbeit findet vor und nach dem Dreh statt. Die Höhepunkte sind immer die Begegnungen mit den Menschen und das Erstellen der Bilder.
Und was war die größte Herausforderung?
Die Logistik. All diese Ideen an einem Ort oder in unserem Fall an zwei Orten zusammenzubringen und alles rechtzeitig für die jeweilige Person vorzubereiten. Denn wenn man Dinge hinter [dem Motiv] auf einen Bildschirm projiziert, muss das fertig sein, bevor die Person vor den Bildschirm tritt. Wenn man eine Reflexion im Wasser haben möchte, muss diese Reflexion bereits vorliegen. Es gibt viel vorzubereiten.
Wie unterscheidet sich die Arbeit am Pirelli Kalender von Ihren anderen Arbeiten?
Der Unterschied besteht darin, dass es keinen Kunden gibt, der sagt: „Dies wollen wir“. Es ist eher so: „Wir möchten, dass Sie einen Kalender schaffen, legen Sie los“. Man muss sich selbst briefen, sich selbst Grenzen setzen. Sonst verliert man sich am Ende in alle möglichen Richtungen. Es ist außerdem ein viel längerer Prozess. Die meisten Projekte dauern einen Monat. Dieses begann im Dezember und wird im November vorgestellt. Fast ein Jahr Arbeit.
Außerdem gibt es nur sehr wenige Orte, an denen die Fotografie so gefeiert wird wie bei Pirelli. Oder die ein physisches Objekt so kunstvoll herstellen. Alles Visuelle landet heute auf TikTok, Instagram oder YouTube. Pirellis Investition in die Fotografie und das Schaffen einzigartiger, schöner Objekte ist etwas Besonderes. Ich bin sehr dankbar, in diesem Jahr Teil dieses Prozesses zu sein.