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Pirelli HangarBicocca: Auszeichnung für die Fontana Ausstellung

In New York erhielt das Mailänder Museum für zeitgenössische Kunst den Global Fine Art Award 2018 in der Kategorie "Best Impressionist and Modern" für die Ausstellung „Lucio Fontana: Umgebungen"

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Lucio Fontana erreichte, was andere Künstler schon immer versucht haben: den Raum zu durchbrechen. 1949 durchbohrte er erstmals eine Leinwand, 1958 zerschnitt er sie und brach ihre Oberfläche für immer auseinander. Die unwiderrufliche und grenzüberschreitende Natur dieses plötzlichen und beispiellosen Aktes des Künstlers drückte die ganze revolutionäre Kraft eines brillanten Geistesblitzes aus. Fontana durchstieß den unüberwindbaren Horizont der zwei Dimensionen genau in jenem Moment, in dem das zwanzigste Jahrhundert alle früheren ehernen Gewissheiten gestört hatte: durch die Relativitätstheorie, die Erforschung der Quantenmechanik, der nicht-euklidischen Geometrien und dem Unbestimmtheitsprinzip. 

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Lucio Fontana erreichte, was andere Künstler schon immer versucht haben: den Raum zu durchbrechen. 1949 durchbohrte er erstmals eine Leinwand, 1958 zerschnitt er sie und brach ihre Oberfläche für immer auseinander. Die unwiderrufliche und grenzüberschreitende Natur dieses plötzlichen und beispiellosen Aktes des Künstlers drückte die ganze revolutionäre Kraft eines brillanten Geistesblitzes aus. Fontana durchstieß den unüberwindbaren Horizont der zwei Dimensionen genau in jenem Moment, in dem das zwanzigste Jahrhundert alle früheren ehernen Gewissheiten gestört hatte: durch die Relativitätstheorie, die Erforschung der Quantenmechanik, der nicht-euklidischen Geometrien und dem Unbestimmtheitsprinzip. 

Es kann daher nicht verwundern, dass der Kosmos und die Abenteuer der Luft- und Raumfahrt für den Gründer des Spatialismus so wichtig waren. Diese Kunstbewegung beschäftigte sich mit der räumlichen Qualität von Plastiken und Gemälden mit dem Ziel, die Zweidimensionalität der traditionell auf glatten Oberflächen gemalten Bilder zu durchbrechen. 1949, als die Menschheit ihre Aufmerksamkeit dem Himmel zuwandte, schuf er seine erste räumliche Umgebung. In den vier Jahren zuvor wurde der Start mehrerer Raketen und einer beträchtlichen Anzahl von Flugzeugen, von denen aus auf die Erde geblickt werden konnte, begleitet von der ersten astronomischen Beobachtung des Weltraums sowie den Entdeckungen einer Wellen aussendenden Galaxie, magnetischer Sternfelder, des staubigen und gefrorenen Zustands der Kometen sowie der Satelliten Uranus und Neptun. Auch der Asteroid Ikarus, das Vorhandensein von CO2 auf dem Mars sowie die Unregelmäßigkeit der Mondoberfläche wurden entdeckt. 

Vor dem Hintergrund dieser zahlreichen wissenschaftlichen Entdeckungen der Epoche arbeitete Fontana - angezogen von der Neuheit - mit Materialien wie Gips, Keramik, Farbe, Neon und sogenannten Wood-Lampen. Sie geben hauptsächlich `langwellige` Ultraviolettstrahlung (Schwarzlicht) und nur in geringem Maße sichtbares Licht im blauvioletten Bereich des Farbspektrums ab. Lucio Fontana experimentierte intensiv mit den Konzepten von Raum, Licht, Leere, Kosmos und Materie und revolutionierte deren Wesen. Er veränderte die traditionelle Auffassung von einer Skulptur und erreichte künstlerische Unsterblichkeit, indem er - wie seine Bewunderer wissen - die Zweidimensionalität der Malerei verließ. 

Während seiner Erforschung des Raumes entstanden auch seine räumlichen Umgebungen - gemeinsam mit bekannteren Werken, die immer mehr Beachtung finden. Mit den ab 1949 konzipiert und bis zu seinem Tod realisierten hochinnovativen Umgebungen schuf Fontana eine Beziehung zu architektonischen Erlebnisräumen. Dazu gehörte das Gestalten von Räumen und Gängen für Galerien und Museen sowie Installationen für die Foyers von Mehrfamilienhäusern oder Kinos. Nach einer Ausstellung wurden diese Objekte fast immer zerstört und demontiert. Nur eine seiner ursprünglichen Umgebungen blieb erhalten.

In einem Meisterwerk aus philologischer Forschung, dem Zusammentragen von Materialien aus dem Archiv der Lucio Fontana Stiftung sowie der Rekonstruktion bildeten die Kunsthistorikerin Marina Pugliese, die Kunstrestauratorin Barbara Ferriani und der künstlerische Leiter des Pirelli HangarBicocca, Vicente Todolì, für die Ausstellung Ambienti/Umgebungen neun von Fontanas räumlichen Umgebungen sowie zwei weitere Objekte nach und führten sie chronologisch zusammen. 

Diese beispiellose Installation wurde von September 2017 bis Februar 2018 im Pirelli HangarBicocca ausgestellt. Sie sollte die Modernität und Innovationskraft der experimentellen Reise des Künstlers belegen und fand nun große Anerkennung. Denn sie wurde mit dem Global Fine Art Award 2018 in der Kategorie "Best Impressionist and Modern" ausgezeichnet.

Lucio Fontana selbst unterteilte seine Werke in die sogenannten Umgebungen und die sogenannten räumlichen Eingriffe: Bei den Umgebungen handelt es sich um Räume, in denen eine sehr präzise Beziehung zwischen Objekten, Lichtquellen, deren Materialien sowie dem diese Dinge umgebenden Raum besteht. Als räumliche Eingriffe bezeichnet Fontana Werke, die von Architekten für Freiflächen in Auftrag gegeben wurden. Sie stehen in einer offenen Beziehung zum Raum und verkörpern nicht die Idee, in einen Container eingeschlossen zu sein.

Im HangarBicocca wurde jedes Werk in Räumen präsentiert, die eigens dafür rekonstruiert wurden, um die ursprünglichen Dimensionen zu berücksichtigen. Und jeder Raum war eine für die Besucher begehbare und erlebbare Umgebung. Die Ausstellung eröffnete die Struttura al Neon, 1951 entworfen für die Mailänder Triennale, eine leuchtende Arabeske aus über 100 Metern Neonröhren. „Mit den Mitteln der modernen Technologie werden wir künstliche Formen, wundersame Regenbögen und leuchtende Schriften am Himmel erscheinen lassen". 

Das gelang Lucio Fontana zum Beispiel in seiner Arbeit Ambiente spaziale a luce nera (1948-1949). In einem dunklen Raum sind mit fluoreszierenden Farben bemalte Objekte aus Pappmaché aufgehängt und werden von Wood-Lampen beleuchtet. Die Beziehung tritt an die Stelle der Betrachtung. Mit fremdartig wirkenden fluoreszierenden Formen in einem Werk, das weder Skulptur noch Malerei ist, sondern ein Medium, durch das der Künstler an der physischen und visuellen Wahrnehmungsverwirrung des Raumes und der Zentralität des Lichts arbeitet. 

Was von dieser Ausstellung übrig bleibt: Einerseits die Rekonstruktion der verschiedenen Umgebungen, die einst von Fontana entworfen wurden, und die sie hervorbringende sorgfältige Arbeit, die darauf abzielt, die Umgebungen so getreu wie möglich zu reproduzieren. Andererseits die Erkenntnis, inwieweit es Fontanas Werk gelungen ist, nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit zu agieren. Und das mit einer Resonanz des heutigen Publikums, die angemessener ist als die frühere gestrige. Der in New York erhaltene Global Fine Art Award ist ein Beweis dafür.